ag du bist bertelsmann
Bildungspolitik
Universitäten als Dienstleister
Vergleichbar mit der Situation an den Schulen wird zur Zeit der neoliberale Umbau an den Hochschulen betrieben. Das Leitbild ist die von Thorsten Bultmann beschriebene "standortgerechte Dienstleistungshochschule" (1). Die Uni soll weg von ihrer verstaubten Behördenstruktur hin zu einem effizienten und schlanken wirtschaftlichen Betrieb. Im Zuge dessen werden die Unis in ihrer inneren Struktur nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten neu gestaltet. Gleichzeitig verändert sich der Auftrag der Universitäten. Sie sollen als Dienstleister am Markt auftreten. Einerseits gegenüber den Studierenden, denen sie eine universitäre Ausbildung zur Wertsteigerung der Ware Arbeitskraft verkaufen, andererseits gegenüber der Wirtschaft, der verwertbares Wissen geliefert werden soll. Studieneffizienz wird eingefordert. Wenn von Bildung die Rede ist, ist meist fachliche Qualifikation gemeint.
Zentraler Antrieb in dieser Entwicklung ist das 1994 gegründete Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Es ist eine gemeinsame Institution der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Bertelsmannstiftung, wobei die HRK vor allem die Legitimität und die Bertelsmannstiftung das Geld zusteuert. Das CHE entwickelt aus dem Bewusstsein heraus, (angeblich) zu wissen woran das deutsche Hochschulwesen kranke und wie es zu kurieren sei, Konzepte, Strategien und Gutachten zu allen möglichen Fragen, die Uni und Hochschule betreffen und treibt damit Ministerien, Unileitungen und andere Entscheidungsträger vor sich her. Die Strategie des CHE ist dabei, durch eine ungeheuer große Anzahl an Publikationen und durch die Beteiligung an etlichen hochschulpolitischen Versuchen und Projekten, die Rolle desjenigen zu übernehmen, der die uneingeschränkte Meinungsführerschaft in Sachen Hochschule innehat. Diese Strategie hat dem CHE den Ruf eingebracht, das heimliche (oder vielmehr das tatsächliche) Bildungsministerium zu sein. Inhaltlich vertritt es dabei einen kompromisslosen Neoliberalismus, der in harmlose Worthülsen verpackt wird.
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Konkurrenz als Steuerungsinstrument
Heutige Hochschulpolitik geht davon aus, dass sich Universitäten und Hochschulen am effektivsten durch Marktmechanismen steuern lassen. Dabei ist das politische Ziel noch nicht die Privatisierung von Hochschulen, vielmehr geht es heute darum einzelne Unis wie Wirtschaftsbetriebe funktionieren zu lassen. Dazu müssen sie zunächst in einen Wettbewerb zueinander gesetzt werden. Dieses in Wettbewerb setzen findet zur Zeit auf allen Ebenen statt. Nationale Bildungssysteme werden international verglichen, um Veränderungsdruck auf einzelne Unis aufzubauen. In Deutschland kämpfen die einzelnen Unis um die Anerkennung als "Exzellenzuni" im Rahmen des Wettbewerbs um Forschungsmittel des Bundes. Gleichzeitig müssen die Unis in diversen Hochschulrankings um die Gunst der StudentInnen werben (2).
Fakultäten werden heute vor allem dadurch in Konkurrenz gesetzt, dass sie im Rahmen der neu gewonnenen Hochschulautonomie um die interne Verteilung der Finanzen konkurrieren, die der Uni im Rahmen eines Globalhaushaltes zugewiesen werden. Die Finanzmittel werden nicht mehr durch einen Haushaltsplan verteilt. Statt dessen bekommt jeder Fachbereich eine Grundfinanzierung die für den laufenden Betrieb nicht ausreicht. Weitere Mittel werden erst beim Erreichen bestimmter Kennziffern verteilt (Beispiel für diese Kennziffern sind: eingeworbene Drittmittel, Anzahl der AbsolventInnen, Studienzeit, Anzahl der Publikationen, Geschlechterquote, ...) (3).
Darüber hinaus werden alle möglichen Steuerungsinstrumente aus der Betriebswirtschaft auf die Unis losgelassen. Von Zielvereinbarungen, Kontraktmanagment, Selbst- und Fremd-Evaluationen bis zur leistungsorientierten Besoldung für ProfessorInnen. Dadurch wird ein massiver Druck einerseits zur permanenten Innovation, andererseits zur Anpassung an die gerade aktuellen Trends ausgeübt.
Die Unis werden verstärkt mit rein privaten Institutionen verzahnt indem die Universitäten sich in ein Umfeld von privaten Instituten und Firmen einbetten und mit diesen kooperieren oder bestimmte Bereiche direkt privatisiert werden. Ein Beispiel ist das im Zuge der BA/MA Abschlüsse eingeführte Akkreditierungsverfahren von Studiengängen. Die Zulassung und Überwachung von Studiengängen wird nicht mehr wie bisher durch die zuständigen Ministerien, sondern von privaten Akkreditierungsinstituten durchgeführt.
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Studierende als KundInnen
Das Verhältnis zwischen Universität und Studierenden ändert sich grundsätzlich. Primäres Ziel der universitären Ausbildung ist nicht mehr möglichst vielen Menschen einen Uni Abschluss zu ermöglichen. Statt dessen tritt die Uni dem einzelnen Studierenden als Dienstleister gegenüber. Sie verkauft eine universitäre Ausbildung. Der/die einzelne Studierende soll bereit sein, für diese Dienstleistung zu bezahlen, da sie den Wert seiner/ihrer Arbeitskraft steigert und sich das spätere Einkommen erhöht. Von der Wahl eines Studienfaches und vom Studium selber erwartet, der/die einzelne, dass es später einen Gewinn abwirft.
Dieses Leitbild verlangt eine umfangreiche Neustrukturierung der einzelnen Studiengänge. Das vermittelte Wissen muss noch konsequenter als bisher auf wirtschaftliche Verwertbarkeit durch den einzelnen Studierenden ausgerichtet sein. Gleichzeitig muss das Studium insgesamt effizienter und schneller verlaufen und die Inhalte modernisiert werden. Diese Neustrukturierung erfolgte in den letzten Jahren vor allem durch die fast vollständige Abschaffung der Diplom- und Magister- Studiengänge und die gleichzeitige Neukonstruktion von BA-/MA-Studiengängen. Diese Reform der Studienabschlüsse bot somit das ideale Vehikel alle Universitäten und Fachhochschulen auf den neuen Zeitgeist einzuschwören. Nebenbei bietet die neue Struktur allen Studierenden die Möglichkeit ihren Abschluss in der billigen Standard Variante (Bachelor) oder der teuren Premium-Variante (Master) zu machen. Wobei der Zugang zu MA - Studiengängen durch Quoten limitiert wird.
Das zentrale Instrument für die Durchsetzung dieser Logik sind Studiengebühren. Während die zunächst in einigen Bundesländern eingeführten Langzeitstudiengebühren vor allem dafür gesorgt haben, dass all diejenigen, die nicht schnell und effizient studieren, die Uni zu verlassen haben, so zwingen allgemeine Studiengebühren und Bildungskredite zu einem Studium nach einer Renditelogik. Die Studiengebühren in Höhe von 500€ pro Semester werden viele Studierende über spezielle Bildungskredite finanzieren müssen. Zusammen mit den ebenfalls auflaufenden BaFöG Schulden ergibt sich ein Schuldenberg von mehreren zehntausend Euro am Ende des Studiums. Die Entscheidung ein Studium aufzunehmen kann also nur getroffen werden, wenn am Ende ein Job winkt, der einen sehr guten Lohn verspricht. Studieren wird zum unternehmerischen Risiko.
Aus der Tatsache, dass ein Großteil der Studierenden bereit ist, Studiengebühren zu bezahlen, weil sie glauben, dass dabei die viel beschworene Verbesserung und Effektivierung des Studiums heraus kommt zeigt, wie tief diese Logik schon in den Köpfen ist.
Damit dies alles funktioniert, müssen die Unis um die besten Studierenden konkurrieren und die Studierenden um den besten Studienplatz. Folgerichtig ist die zentrale Studienplatzvergabe stark eingeschränkt worden. Darüber, wer einen Studienplatz bekommt, entscheidet nun meist die Uni allein. Gleichzeitig wird der/die Studierende durch Hochschulrankings in die Lage versetzt die bundesweit beste, und das meint ökonomisch effizienteste, Uni zu finden.
In der Uni wird nicht nur verwertbares Wissen vermittelt, sondern es werden auch die Arbeitsbedingungen und Zwänge der heutigen Berufswelt simuliert - nicht zuletzt indem die neuen Studiengänge explizit ausgerichtet sind am Zeitumfang einer Arbeitswoche von 38,5 Stunden - zuzüglich Überstunden. In Verbindung mit dem enorm straff gestalteten Studienverlauf ergibt sich ein massiver Druck unter dem es keine Möglichkeit gibt nach rechts oder links über den Tellerrand hinaus zu schauen.
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Literatur
Bultmann, Thorsten, Die standortgerechte Dienstleistungshochschule, in: Prokla 104 Hochschule,
http://www.staff.uni-marburg.de/~rillingr/wpl/texte/1bultman.htm, 1997
Klausenitzer Jürgen, Thesen zu Rationalisierung und Privatisierung im Bildungsbereich.
Für einen erweiterten Privatisierungsbegriff,
http://www.anti-bertelsmann.de/2005/privatisierung-klausenitzer.pdf, 2005
Lohmann Ingrid, Die »gute Regierung« des Bildungswesens: Bertelsmann Stiftung,
http://www.anti-bertelsmann.de/2006/LohmannBertelsmann.pdf, Manuskript des Beitrags zum 20. DGfE-Kongreß, Symposium 19, FFM 2006
Resolution der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen "Boykott des Hochschulrankings des Centrums für Hochschulentwicklung",
http://www.anti-bertelsmann.de/2008/ResolutionCHE040208.pdf, 2008
Zahlreiche weitere Texte, Links und Literaturhinweise zum Thema finden sich unter:
http://www.anti-bertelsmann.de/texte.html
Rationalisierung der Schulen
Bertelsmannisierung
Als "Bertelsmannisierung der Schulen" bezeichnen wir die Rationalisierungs- und Ökonomisierungsoffensive im Schulbereich, die seit 1995 maßgeblich durch die Bertelsmann-Stiftung in ganz Deutschland vorangetrieben wird (4). Ihr Ziel ist eine völlig veränderte Verwaltung und Arbeitsorganisation in den Schulen, die sich aus den Grundsatzvorgaben des neoliberalen New Public Management (NPM) ableiten. Eine weitgreifende deutsche Verwaltungsreform auf allen Gebieten nach dem Konzept des neoliberalen NPM wurde seit Anfang der 90er gemeinsam von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), der Bertelsmann-Stiftung und der Verwaltungshochschule in Speyer entworfen und in die Politik hereingetragen (5). Eines der zentralen Umstrukturierungsvorhaben betrifft die schulische Finanzverwaltung. Sie soll mittels Datensysteme und Kennziffern dezentral im Rahmen der "Budgetierung" abgewickelt werden, gleichzeitig wird aber über das "Controlling" der zentralistische Zugriff verschärft (6). Zusätzlich werden drei weitere Steuerungsinstrumente eingeführt: Qualitätsmanagement, Ziel-Leistungsvereinbarungen zwischen Schulen und Behörden sowie Public-Private-Partnerships mit Sponsoren.
Offensichtlich stellt dieser Rationalisierungsangriff nicht nur einen Vorlauf dar, um später Teile des öffentlich-rechtlichen Bildungswesens für den Handel mit Bildungsdienstleistungen zu privatisieren. Sondern: hier findet ein Paradigmenwechsel statt. Die "Schule der Zukunft" führt die neuen Führungs- und Sozialtechniken des Kapitals auch in der Schulorganisation ein. Neben der neuen Finanzverwaltung über Budgetierung und Controlling sind "Selbstmanagement" und "Qualität" dabei entscheidende Begriffe. Das "Selbstmanagement" drückt den grundlegenden Wandel in den Sozialtechniken aus (7), "Qualität" ist der dazu passende Kampfbegriff. Unter dem Deckmantel einer angeblichen Qualitätssteigerung werden einseitig unterbezahlte Leistungssteigerungen von Seiten des Personals eingefordert (8).
Ein persönlichkeitsstärkender, anregender und menschlich-sinnvoller Umgang zwischen Lehrpersonal und Schülerschaft findet weitgehend nur auf dem Papier der InnovatorenInnen statt. Da die Schullandschaft durch den sozialen Hintergrund der Schülerschaft und soziale Interaktionen zwischen Menschen bestimmt ist, dürfte die Reichweite von neuen Didaktiken begrenzt sein (9). Fortschritte im aktuellen schulischen Geschehen hängen nach wie vor von der Klassengröße und von zusätzlichen sozialpädagogischen und unterstützenden Maßnahmen aller Art ab - und die kosten Geld. Selbstmanagementkonzepte sowie Standardisierung von Abschlüssen können zusätzliche Finanzierung nicht ersetzen - so läuft es auf verschärften Leistungsdruck und Selektion statt Förderung hinaus. Die wirklichen Veränderungen basieren überall auf den neuen Möglichkeiten von Internet und anderen EDV-Techniken. Sie werden hemmungslos in den Dienst der Sparpolitik und gesteigerter Leistungsanforderungen gestellt und drängen das Menschliche, das nötig wäre, in den Hintergrund.
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Rationalisierungsoffensive, woher?
Die typischen Rationalisierungsstrategien des Neoliberalismus beruhen überall auf ähnlichen Innovationen der sozialen Steuerung, auch wenn sie in ganz unterschiedlichen Situationen zum Tragen kommen. Im staatlichen Bereich als neoliberale Verwaltungsreform (dem NPM); bei den Großkonzernen als Total Quality Management (TQM) mit ausgefeilten Wertschöpfungsketten in der globalen Lohnhierarchie; und drittens in der Wissenschaft mit einer veränderten Theorie der sozialen Steuerung beruhend auf Selbstorganisation und "Subjektivierung". Als materielle Voraussetzung für die neue Form der sozialen Steuerung diente die technologische Revolution der Informationstechniken und der Netzwerk-Technik mit Internet/Intranet.
Im staatlichen Bereich bildete die neoliberale Verwaltungsreform des NPM (dazu gehören auch die Privatisierungen) den Ausgangspunkt. Mit der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preises 1993 "Demokratie und Effizienz in der Kommunalverwaltung" an Vorreiter des NPM erlebte die Verwaltungsreform mit der wohl durchdachten schöpferischen Zerstörung des hergebrachten bürokratischen Systems in Deutschland ihren vernehmlichen Startschuss (10). Zeitgleich wurden von der Bertelsmann-Stiftung die Bildungskommission Nordrhein-Westfalen (NRW), das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und das Centrum für Krankenhaus-Management (CKM) gegründet, um Umsetzungsschritte der NPM-Verwaltungsreform für Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und den gesamten öffentlichen Dienst zu entwickeln und zu propagieren. Reinhard Mohn gab seiner Stiftung den Auftrag, Forschungsprojekte, ideologische Propaganda, Personalpolitik an den entscheidenden Stellen und sonstige Instrumente für Marktorientierung und "Effektivierung" aller öffentlichen Dienste bereitzustellen. Darüber berichtet z.B. der Leiter des CHE Müller-Böling gleich zu Anfang seiner Kampfschrift "Die entfesselte Hochschule" voller Stolz: "Im September 1993 saß ich in Gütersloh Reinhard Mohn gegenüber, der mich bat: 'Machen Sie das?' Das betraf Aufbau und Leitung des CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Ich übernahm die Aufgabe...." (11).
In NRW wurde eine Bildungskommission für das Schulwesen eingerichtet, deren Vorsitz Johannes Rau hatte und der maßgebliche Leute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung angehörten. Reinhard Mohn war wichtigstes Mitglied dieser Kommission, neben anderen Größen aus den Vorständen der Deutschen Bank, Volkswagen, IBM, der IG Metall und Professoren von diversen Universitäten. Ein parteiübergreifendes Eliten-Netzwerk. Mohns Stiftung dürfte sich sehr für die Einführung des NPM an Schulen eingesetzt haben, hier wie sonst auch, ohne das Kind offen beim Namen zu nennen, jedenfalls nicht im Kommissionsbericht. Dies ist für die gesamte Politik an Unis, Schulen und im Gesundheitsbereich typisch. Auf den konzeptionellen neoliberalen Hintergrund wird nicht verwiesen, sondern scheinbar pragmatisch steht dieser und jener Reformbedarf im Vordergrund. Jedenfalls übernahm die Bertelsmann-Stiftung die Federführung bei den ersten deutschen Schulversuchen mit dem NPM in der Schulverwaltung (Selbstständige Schule in NRW, siehe weiter unten) (12).
Auch im Schulwesen gehören zum NPM:
- dezentrale Ressourcenverwaltung mit Budgetierung und transparentem Controlling
- Qualitätsmanagement
- Rechenschaftspflicht mit Evaluationen
- Markt- und Wettbewerbsorientierung mit der Möglichkeit der Privatisierung
- betriebswirtschaftliche Rationalisierung/Optimierung/Effektivierung auf der Grundlage der Eigenverantwortung der Teams und der Eigenverantwortung der Schule
- und zukünftig die Schul-Cluster, also der Zusammenschluss mehrerer Schulen zu einem besser steuerbaren Verbund, der sich seine public-private partnerschaften (ppp) jenseits der Zustimmung von Schulkonferenzen organisieren wird, um fehlendes Geld aus kommerziellen Marktaktivitäten zu holen
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Auf diesem Hintergrund können dann die öffentliche Haushalte weiter gekürzt und paradoxerweise gleichzeitig von Reform und verbesserter Qualität geredet werden (13).
Das Qualitätsmanagement wurde im Anschluss an die Toyota-Diskussion Ende der 80er von McKinsey und amerikanischen Großkonzernen übernommen und zunächst in Kanada auf das Schulwesen übertragen. Bertelsmann hatte seine Experten entsandt. Sie waren, wie auch der bekannte Fachjournalist Reinhard Kahl (14), begeistert von den neuen Prinzipien der angeblich basisnahen Steuerung, die ihnen in Kanada vorgeführt wurden. Geflissentlich haben sie die größten Lehrerstreiks der nordamerikanischen Geschichte übersehen, die sich in Ontario, Kanada im Jahre 1997 gegen ebendiese neoliberale Schulreform richteten (15).
Einen dritten Herkunftsstrang hat das NPM in der Forschung zur Steuerung sozialer Systeme, der Kybernetik. Kleine soziale Einheiten, z.B. überschaubare Gruppen, können sich selbst am besten "steuern", "organisieren" und vor allem "optimieren". Auf höchstem Niveau der Wissenschaft wurde ein altes sozialrevolutionäres Organisationsprinzip im Bereich der Biologie (Autopoiesis, Maturana), der physikalischen Chaostheorien (Haken) und auch der Kybernetik (Luhmann etc.) neu entdeckt (16). In den Sozialwissenschaften schuf die konstruktivistische Theorie der "Subjektivierung" die Möglichkeit, die Eigeninteressen der Menschen für Leistungssteigerungen im Sinne des Managements umzulenken. Die "Sinnhaftigkeit" organisatorischer Abläufe wurde einer Überprüfung der Beschäftigten ausgesetzt. Entgrenzungen des kapitalistischen Zeitregimes wurden wie bei der Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt (Stichwort: Unternehmer der eigenen Arbeitskraft) plötzlich funktional, um Leistungsreserven zu erschließen (17).
Aus all dem hatte die Management-Forschung abgeleitet, dass Effektivierung in großen Organisationen am besten von Teams ausgehen sollte, die aus Erfahrung über klare "Ziele" und "Sinn" vor Ort verfügten (bottom up). Von daher wären sie wirksamer als die bisherige bürokratische Verwaltung (top down). Neue Organisations- und Managementprinzipien wurden entwickelt, die sich besser auf die zertrümmerten Arbeitsmärkte und neuen Unternehmensformen anwenden ließen. Nach 15-jährigem Wandlungsprozess in der Privatwirtschaft (und auch als "Aktivierung" in den Arbeitsagenturen), kommt nun das Selbstmanagement in den Schulen an.
Den neoliberalen Organisationstheoretikern geht es darum, den Informationsaustausch der Beschäftigten über Ziele und Methoden ständig neu zu organisieren, das heißt im offenen Prozess zu evaluieren. Alle Beschäftigten sollen eine ganzheitliche Sicht des Unternehmens Schule mittragen und sich gemeinsam im Kollegium auf der Grundlage des TQM (SEIS, Q2E etc.) um ständige Optimierung kümmern. Was für LehrerInnen so neu auch nicht ist, da Konferenzen stets auch die gesamtschulischen Anliegen demokratisch diskutieren konnten. Von dem "Sich-Öffnen und Sich-Austauschen" der MitarbeiterInnen und dem Zwang zur zielgerichteten Kooperation erhofft man sich, ganz anders als bisher auf die inneren Potentiale, Erfahrungsschätze und Selbstorganisationsfähigkeiten der Menschen zugreifen zu können, - und nebenbei vorhandene Blockierungen und Widerstand (unproduktives/ unflexibles Verhalten, Langsamkeit, unangepasste Eigenwilligkeit, mangelnde Teamfähigkeit, politisches Opponieren etc.) auszuschalten (18). Die neue Flexibilität im Innern der Institution wird durch betonharte Kennzifferndiktate, Außenevaluation und Benchmarking bzw. Ranking eingerahmt. Selbstorganisation wird nur in dem Maße zugelassen, in dem sie der kapitalistisch definierten Produktivitätssteigerung dient.
Dieser Wandel zu Subjektivierungskonzeptionen und zur Selbstorganisation bis hin zum Selbstmanagement und "Empowerment" wird in der Sozialwissenschaft im Anschluss an Michel Foucault unter dem Stichwort "Gouvernementalität" diskutiert (19). Wir könnten uns auch fragen, inwieweit die meisten der jetzt vom Kapital neu eingeführten Sozial- und Führungstechniken eigentlich aus den sozialen Bewegungen in den Siebziger Jahren stammen und nun in pervertierter Form von Kapitalseite als sozialtechnisches Gleitmittel benutzt werden. Nicht nur ist das Projekt der "Grünen" auf der anderen Seite angekommen, sondern soziale Inhalte und Kampfformen wurden in systemrationale Innovationen um- und eingebaut. Weniger als für Schulen wurde dies für andere Bereichen ansatzweise aufgearbeitet, z.B. bei Mike Davis im Zusammenhang der Funktionalisierung von NGOs für den Städtebau oder bei Barbara Cruikshank in Bezug auf Theorie und Praxis des Empowerment in der Armutsdiskussion (20).
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PISA
PISA ist nicht der Grund für die Bertelsmannisierung, sondern die Legitimationsformel für einschneidende Maßnahmen in der Öffentlichkeit (21). PISA wurde von der OECD benutzt, um die Durchsetzung der neoliberalen Verwaltungsreform im Bildungswesen zu beschleunigen. Schon vorher wurde das Bertelsmann-Konzept aus der bekannten Studie "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der NRW Bildungskommission" ab 1996 probeweise in Nordrhein-Westfalen in Gang gesetzt (22). Aber es brauchte für ganz Deutschland einen politischen Adrenalinstoß, um genügend medialen Druck gegen Schulverwaltungen und LehrerInnen zu erzeugen (23). Es lässt sich gut nachverfolgen, wie die damals 6 Jahre alten Bertelsmann-Konzepte erst durch PISA ab 2001/2002 eine Durchsetzungsfähigkeit gewonnen haben. Ohne PISA wäre die NPM-Reform, die jetzt mit dem Konzept der "Eigenverantwortlichen Schule" überall durchgesetzt wird, nichts geworden.
Finanzen
Ein grundlegendendes Prinzip des NPM und der Bertelsmannisierung ist die systematische Unterfinanzierung der staatlichen Haushalte, also auch der Bildungshaushalte. Damit wird die schöpferische Zerstörung aller Bereiche des ehemaligen sozialen Ausgleichs ermöglicht. "Die Kassen sind leer" so heißt es. Tatsächlich aber ist es eine bewusste politische Entscheidung auf dem Hintergrund der neoliberalen Volkswirtschaftstheorie, die öffentlichen Haushalte herunterzufahren, um überall im Staatsbereich einen Rationalisierungsdruck zu erzeugen. An Schulverwaltungen, Schulleitungen und LehrerInnen werden scheinbar plausible Gründe für den Systemwechsel herangetragen, die zur Steigerung der Qualität angeblich alternativlos sein sollen. Jedoch ohne den Druck der Unterfinanzierung wäre es nicht möglich, zunehmend private Finanzierung ins Spiel (23) und privaten Geldgebern einen Einfluss zu ermöglichen.
Wie auch im Gesundheitswesen und in der Rentenfinanzierung, wird auf eine Sockelfinanzierung hingearbeitet. Diese soll das Unternehmen Schule zwingen, die Finanzierungslücke mit Unterstützung von außerstaatlichen Geldgebern zu schließen. Damit gerät das Unternehmen Schule unter Druck: es muss sich auf dem Markt behaupten, eigene Stärken herausstellen und bewerben und selbstständig nach Möglichkeiten der Kostensenkung suchen. Strategisch wird die Unterfinanzierung als Instrument zur Ausdifferenzierung von Schulen unterschiedlicher Ausstattung eingesetzt, die sich zu diesem Zweck in die Abhängigkeit von außerschulischen Geldgebern in Public-Private-Partnerships (PPP) begeben müssen.
Das Sekundarschulwesen soll in der Grundfinanzierung staatlich bleiben, während im berufsbildenden Bereich gesamteuropäische Konzepte in Richtung Privatisierung entwickelt werden. Europäischer Qualifikationsrahmen (EQR), Europäisches Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET), Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) nennen sich die groß angelegten Verfahren, die die nationalen Systeme möglichst ersetzen und vereinheitlichen sollen. Die geplante Modularisierung der beruflichen Bildung würde bedeuten, dass man die bislang mehrjährigen Ausbildungsgänge in einzelne Kurse, in "Module", zerlegt, die von Privatfirmen gegen Bezahlung angeboten werden könnten. Ein übergreifendes System der Kompetenzbeschreibungen EQR soll den Ordnungsrahmen schaffen, der das europäische System als Weltmarktprodukt etablieren könnte. Dafür müssten in Deutschland allerdings noch viele rechtliche Barrieren beseitigt werden. Momentan liegt das EU-System nicht im Interesse der deutschen Unternehmen. Und auch die IG Metall spricht sich für eine Beibehaltung des Dualen Systems aus. Deswegen hat Bertelsmann geschickterweise den Entwurf für ein regionalisiertes System der Privatisierung bei gleichzeitiger Beibehaltung des "Dualen Systems" vorgelegt. Staatlichen Berufsschulen soll ermöglicht werden, sich auf dem Markt als kommerzielle Bildungsanbieter zu betätigen (24). Der Ausgang des Konflikts zwischen den EU-Vorhaben und der deutschen Position ist im Ergebnis noch offen. Die deutsche Linie wird im "Innovationskreis berufliche Bildung (IKBB)" beim Bundesministerium für Bildung und Forschung abgestimmt (siehe den Bericht des Innovationskreises). Bertelsmann nahm daran bis 2007 nicht teil, was sich aber wegen der neuen Vorlage aus Gütersloh (2008) vielleicht schon geändert hat (25).
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Die Eigenverantwortliche Schule (Selbstständige Schule in NRW)
Zahlreiche Maßnahmen der Selbstmobilisierung wie Schulprogramm (im Sinne einer Corporate Identity), Ziel-Leistungsvereinbarung mit der Schulaufsicht und Qualitätsmanagement sollen die "Eigenverantwortliche Schule" dazu bringen, den internen Leistungsanspruch zu erhöhen und sich dabei gleichzeitig marktförmig zu profilieren. Das Qualitätsmanagement macht es möglich, die Motivationen des Schulpersonals konzentrierter auf schulbezogene Ziele auszurichten. Nebenbei kann durch das neu eingeführte Qualitätsmanagement einiges an Mehrarbeit eingefordert werden. Das Bertelsmann’sche Evaluationstool SEIS (26) ist das bekannteste Werkzeug, mit dem solche Selbstrationalisierungen angeleitet werden. Zitat:
"Durch den Qualitätsvergleich gründet sich Schulentwicklung nicht länger ausschließlich auf Intuition, Tradition oder pragmatische Entscheidungen, sondern auf Daten. Daten helfen bei fundierten Entscheidungen. Schulen gewinnen an Planungs- und Entscheidungssicherheit. Erfolge werden (endlich) messbar!
Alle ins Boot holen, um die Qualität zu verbessern. Das Instrument ist auf Entwicklung ausgerichtet, und alle Beteiligten (Schülerschaft, Eltern, das Kollegium und sonstige Mitarbeiter) werden in den Prozess einbezogen. Die Daten und Impulse des Qualitätsvergleiches setzen Dialoge und Entwicklungen in Gang. Wichtige Dinge werden identifiziert und zum Gegenstand der Diskussion. Auch schwierige Themen werden objektivierbar und diskutierbar." (27)
Objektive Daten statt Intuition und Erfahrung? Oberflächlich gesehen dienen die Werkzeuge des Qualitätsmanagements anscheinend nur dazu, um Wege zur Verbesserung von Schulklima und Arbeitsabläufen zu finden. Daher wird dieser Prozess von nicht wenigen KollegInnen zunächst begrüßt oder ambivalent wahrgenommen, da es angenehm oder unverdächtig erscheint, sich gemeinsam Gedanken um die "Dimensionen" einer besseren Schule und eines besseren Arbeitsplatzes zu machen. Gegen eine schulinterne Struktur zur Verbesserung von Arbeitsabläufen wäre vielleicht nichts zu sagen. Wenn es um einen demokratischen Vorgang ginge, wäre dies nicht problematisch, sieht man von der Selektions- und Disziplinierungsfunktion von Schulen in einer Gesellschaft sozialer Ungleichheit ab. Dementsprechend werden verschiedene Instrumente des Qualitätsmanagements (nicht die von Bertelsmann) intern als Weiterentwicklung einer ohnehin vorhandenen Schulkultur gehandhabt. Der eigentliche Sinn des SEIS von Bertelsmann ist jedoch ein anderer. Der Schulleitung sollen Instrumente zur Anordnung von Mehrarbeit auch gegen den Willen eines Kollegiums gegeben werden, z.B. um nicht gewollte Standardisierungen und Regelvereinheitlichungen durchzusetzen. Oder um Wege zur Kosteneinsparung bei gleichzeitigem Wegfall von Planstellen zu finden. Wenn sich die Arbeit der LehrerInnen nicht durch sinnvollen Einsatz neuer Technologien und interne demokratische Kultur verbessern lässt, dann ist dem Qualitätsmanagements der Charakter eines herrschaftlichen Ordnungsinstrumentes zugedacht. Immerhin muss die Institution Schule sich gegenüber Eltern und Schülern angemessen legitimieren, gerade wenn hochgradig selektiv und leistungsorientiert Zukunftschancen verteilt werden.
Das 360-Grad-Feed-Back (28) ist z.B. ein Element der Selbstoptimierung, das kollegial daherkommt, aber einen weitreichenden Eingriff in die LehrerInnenpersönlichkeit, Gestaltungsfreiheit und Arbeitsökonomie darstellt, wenn es unfreiwillig gemacht werden muss, und die Ergebnisse der Leitung zur Verfügung stehen. Auch kann zusätzliche Teamarbeit nicht neben den Unterrichtsverpflichtungen geleistet und kostenlos eingefordert werden.
In Zukunft soll die gesamte Unterrichtsvor- und nachbereitung an neu einzurichtende Arbeitsplätze innerhalb der Schule verlagert werden. Auch dafür wird die Ganz-Tages-Schule propagiert (29). Wenn der Lehrerarbeitstag vollständig in der Schule ablaufen würde und die freie Zeiteinteilung genommen würde, wäre das Typische des Lehrerberufs, wie wir ihn kennen, beendet. Seit einigen Jahren laufen als Teil des NPM Gesetzesänderungen zur Anpassung des Beamtenrechts an die Leistungs- und Beurteilungsmuster in der freien Wirtschaft (30).
Die genannten Beispiele weisen auf die inneren Schranken und Konfliktfelder der Verwaltungsreformen im Schuldienst hin, die sich im Laufe der Zeit noch schärfer bemerkbar machen werden.
Die von Bertelsmann bereitgestellte Form von "Subjektivierung" und Selbstorganisation - alle machen mit und bringen sich vollständig ein - stellt sich bei näherer Betrachtung als verschärfter Zugriff auf Arbeits-, Wissens- und Kreativitätsressourcen dar. Es wäre ein grandioser Irrtum, die neue Arbeitsorganisation mit mehr Demokratie oder nachhaltigen Verbesserungen am Arbeitsplatz in Verbindung zu bringen (31). Nicht nur wird entdemokratisiert und die Leitungsebene mit umfassenden Rechten ausgestattet, es geht einfach darum, den Output der Individuen analog zu betrieblichen Verfahren zu erhöhen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sollen anhaltend verschwimmen und werden zugunsten des Arbeitgebers noch weiter verschoben, als es im Bereich von engagierter LehrerInnenarbeit bisher schon war.
Evaluationen haben eine weitere Steuerungsfunktion. Mit ihrer Hilfe werden Schulen in Rankings gegeneinander vergleichbar. Schulen, die bei den Tests gut abschneiden, werden verstärkt nachgefragt und können sich ihre Schülerinnen und Schüler aussuchen. Durch die Selektion werden bereits im Kindesalter die gesellschaftlichen Rollen festgeschrieben. Der Blick nach England zeigt, welche verheerenden sozialen Auswirkungen Rankings haben: Die englische Umgangssprache unterscheidet bereits zwischen "star schools" und "sink schools" (Ausguss-Schulen).
In der eigenverantwortlichen Schule wählt die Schulleitung die ihr genehmen LehrerInnen aus, was bisher Aufgabe der Personalabteilung der zuständigen Behörde war. Wie sich die neue Personalhoheit der Schulleitungen auf die Konkurrenz unter KollegInnen auswirkt, kann man sich vorstellen. Die Schulleitung ist nun frei, Lehrpersonal zu Dumpinglöhnen einzustellen und sich über Lohndrückerei einen Konkurrenzvorteil auf dem Markt zu verschaffen. Vielfach sind schon heute Ein-Euro-Kräfte mit Standardaufgaben betraut (Cafeteria, Bibliotheken, Schulgärten, Schulhöfe, sozialpädagogische Hilfskräfte, möglicherweise auch Schulverwaltung). Denkbar ist heute aber auch, tarifliche und arbeitsrechtliche Vorschriften zu umgehen, jenseits aller Mitbestimmungsmöglichkeiten der Personalräte. Das sind offene Felder.
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Die Bertelsmann-Stiftung
Für Deutschland war und ist die Bertelsmann-Stiftung der entscheidende Motor der Umwälzung des gesamten Bildungssektors: vergessen wir nicht die Rolle des Bertelsmann Instituts CHE bei der Einführung von Studiengebühren. Die Reform des Schulwesens ist eingebettet in die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen, in das General Agreement on Trade in Services (GATS) (32). Bildung soll zur Ware werden, hier und überall für den Verkauf auf dem globalen Markt. Bertelsmann behält sich vor, sämtliche Ergebnisse der Evaluationen von SEIS einzusammeln und in den internationalen Vergleich einzuspeisen, um sich gezielt in den Markt als kommerzieller Dienstleister im Bildungsbereich und für die kommunale Verwaltung etablieren zu können. Schon heute privatisiert Bertelsmann über seinen Arvato-Konzern Teile der öffentlichen Verwaltung, um Gewinn damit zu machen. Die Vereinbarungen des GATS sind Vorraussetzung für die Einführung des Qualitätstools SEIS. Die erhobenen Daten werden von Bertelsmann für die spätere Markteroberung angeeignet.
Neue Inhalte? Klassenstruktur und Bildungswesen
Zur beschriebenen Verwaltungsrationalisierung des Systems Schule kommt ein inhaltlicher Wandel des Lernzielkatalogs. Damit sind nicht neue Themen wie Klimakatastrophe, Finanzmarktkrise oder neue Technologien in der Schule gemeint. Sondern: auch in Schulen soll die unternehmerische Haltung sich selbst gegenüber eingeübt werden. Über das Inhaltliche hinaus dominieren soziale Verhaltens-Lernziele zur Leistungsdisziplin, womit zeitliche Möglichkeiten für die Ausbildung kritischen Bewusstseins ("mündiger Bürger") wegfallen. Bei den viel beschworenen Kompetenzen, um die es neuerdings gehen soll, handelt es sich meist darum, Selbstoptimierungsverfahren einzuüben.
Das hierbei gern verwendete Stichwort "Eigenverantwortung" beschreibt die individualisierte, unternehmerische Haltung zur riskanter werdenden Lebenssituation und Verwertung der eigenen Arbeitskraft. Die Bedeutung der Eigenverantwortung einer mündigen und emanzipierten BürgerIn wird in diesem Zusammenhang eher missbraucht (33).
Mit dem Leitziel der Employability (Beschäftigungsfähigkeit) (34) versucht man, dem Verfall der Arbeitsmoral gegenzusteuern. Die Employability stellt das Funktionieren der Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt und ignoriert dabei die um sich greifenden Verelendungstendenzen (beispielsweise die Kinderarmut). Damit der Arbeitsmarkt gut läuft, das heißt, der Leistungslevel in der Arbeit stabil bleibt oder besser noch sich erhöht, werden Abschlüsse standardisiert. Damit werden individuelle Umwege und Motivationen wegrationalisiert. Es wird das Gegenteil von dem gemacht, was die Verkündigungen individualisierter Lernformen versprechen. LehrerInnen werden auf soft-skills trainiert, um auf das Innere der Subjekte zeitgemäß zugreifen zu können, nicht um SchülerInnen individuell in ihrer Lernentwicklung und ihren Potentialen zu fördern.
Bildungsökonomisch wird das Ausbildungssystem den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes, hin zu einer vielfachen Staffelung und Hierarchisierung angepasst. Mit der Globalisierung ist die Massenarmut der armen Weltregionen auch in den Industriestaaten zunehmend sichtbar und präsent geworden, sei es durch Migration oder durch Verarmungsprozesse, es wird über zwei Kulturen geredet (Heitmeyer). Niedriglohn und Ausgrenzung sowie die Zersplitterung des Lohnsystems und der Arbeitszeiten finden ihre Entsprechungen im Schulsystem. Die Folgen kapitalistischer Umverteilung soll der/die Einzelne verantworten. Schulen, die in Zukunft nur noch die Sockelfinanzierung erhalten und wenige Sponsoren für Partnerschaften finden, werden ausbluten. Folgen wie Schulvermeidung, Kriminalität, Drogen, Verfall der Arbeitsmoral in den Unterschichten werden schon jetzt im Rahmen des antiterroristischen Sicherheitsdiskurses diskutiert und mit anderen Instrumenten eingekreist (35).
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Konfliktlinien
Es wird sich zeigen, zu welch neuen Konflikten oder unbeabsichtigten Nebenwirkungen es bei der Einführung der "Eigenverantwortlichen Schule" kommen wird. In den letzten paar Jahren hat die "Bertelsmannisierung" ihr fortschrittliches Image, das sie in den 90er Jahren teilweise in den Schulen hatte, verloren. Hinter der Fassade von wohlmeinenden und humanistisch klingenden Reformvorschlägen wurde die neoliberale Sozialtechnik eines eiskalten Effizienzdenkens sichtbar. Nicht zuletzt hat die Kritik an der Bertelsmann-Stiftung dazu beigetragen, dass sie sich aus der allerersten Frontlinie im Schulbereich zurückgezogen hat (36). Die Einführung des New Public Management in der Schulverwaltung ist in vielen Bundesländern durchgesetzt. Das Evaluationsinstrument SEIS wurde "verstaatlicht", d.h. den Kultusministerien zur weiteren Verwendung geschenkt.
Widerstand gegen die "Bertelsmannisierung" würde sich in Zukunft gegen die Finanz- und Sozialtechniken des NPM insgesamt, sowie gegen Public-Privat- Partnership- und Privatisierungspolitik richten. Wahrscheinlich braucht es dafür die Zusammenarbeit von Beschäftigten, Eltern und SchülerInnen. Sie könnten sich in wirklicher Selbstorganisation ihre eigenen Ziele setzen, die nicht marktkonform sind. Ebenso müsste sich von der GEW oder anderen politischen Zusammenhängen eine genauere Programmatik entsprechend den Konflikten vor Ort entwickeln. Nichts ist unmöglich.
(Stand: 20.12.2008)
Literatur:
Bertelsmann-Stiftung, SEIS Deutschland. Selbstevaluation in Schulen.
http://www.seis-deutschland.de
Bethge, Horst. Bertelsmann macht Schule. In: Bultmann/Wernicke (Hg.), Netzwerk der Macht - Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh, 2. erw. Auflage, Marburg 2007
Bildungskommission NRW. Zukunft der Bildung. Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Neuwied 1995.
Klausenitzer, Jürgen. Schule der Globalisierung. Zur Restrukturierung des deutschen Bildungswesens.
Teil I: http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/bildung/klausen1.html
Teil II: http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/bildung/klausen2.html
Lohmann, Ingrid/ Rilling, Rainer. Die verkaufte Bildung. Kritik und Kontroversen zur Kommerzialisierung von Schule, Weiterbildung, Erziehung und Wissenschaft, Opladen 2002
Ribolits, Erich. Bildung als Ware? Über die zunehmende Marktförmigkeit der Bildung und die "Schulautonomie".
http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/Personal/Lohmann/Lehre/som3/BuG/RibolitsBildWare.pdf
Texte unter:
http://www.anti-bertelsmann.de/schule/
http://www.anti-bertelsmann.de/orgreform/
http://www.anti-bertelsmann.de/berufsbildung/index.html
http://www.labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/bildung/debatte/bildungsdebatte1.html
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(1) |
http://www.staff.uni-marburg.de/~rillingr/wpl/texte/1bultman.htm |
(2) |
Beispielsweise das CHE Hochschulrankig, heraus gegeben vom CHE und der Zeit. |
(3) |
Siehe auch: "Globalhaushalte an Hochschulen in Deutschland - Entwicklungsstand und Empfehlungen" unter: http://www.che.de/downloads/AP32.pdf |
(4) |
Bildungskommission NRW, Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Neuwied etc. 1995. Wahrscheinlich hat wurde die Kommission auf Anregung der Bertelsmann-Stiftung bzw. Reinhard Mohn persönlich angeregt. Das geht aus dem Kontext hervor. Dazu:
http://www.bertelsmann-stiftung.de
http://www.inis.stiftung.bertelsmann.de
http://www.kooperation-das-macht-schule.niedersachsen.de
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(5) |
Schlüsseldokument ist der KGSt-Bericht "Das Neue Steuerungsmodell: Begründung, Konturen, Umsetzung". Er wurde von Gerhard Banner 1993 vorgelegt. Das "Neue Steuerungsmodell" ist die deutsche Version des New Public Management, das auf dem Treffen anlässlich der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preis 1993 "Demokratie und Effizienz" seinen politischen Durchbruch zur "Akzeptanz" erlebte.
http://www.kgst.de/menu_oben/die_kgst/verwaltungsreform/5_1993.pdf
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(6) |
Zur Erläuterung der Finanztechnik des "New Public Management" siehe hier. |
(7) |
"Insofern die Forderung nach Selbstführung jede/n betrifft, ihre rationalisierende Wirkungjede/n trifft, bleibt ihre Steuerungsfunktion nicht im Rahmen eines individualistischen Paradigmas, sondern wird zum Scharnier zwischen Selbst- und Fremdführung. Das Leben selbst zu bestimmen, selbst zu wählen, selbst zu gestalten ist mehr als ein Appell, es wird allen abverlangt und ist in seiner Funktion als konstitutives Element des gegenwärtigen neoliberalen Diskurses zu betrachten."
Siehe: http://sozmag.soziologie.ch/03/effizienz.xml
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(8) |
Siehe die Rede von Peer Steinbrück zur Selbstständigen Schule:
http://www.selbststaendige-schule.nrw.de
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(9) |
Siehe z.B das Projekt SESEKO: Selbstwirksamkeit durch Selbststeuerung und Kooperatives Lernen. Teamarbeit unter Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf:
http://www.seseko.de
So nett und gut durchdacht solche Projekte auch sein mögen, werden sie die objektiven Verelendungstendenzen im Niedriglohnbereich kaum beheben. Siehe dazu die Befunde zur Kinderarmut in reichen Ländern:
http://www.unicef.de/kinderarmut.html
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(10) |
Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Carl-Bertelsmann-Preis. Demokratie und Effizienz in der Kommunalverwaltung, 2 Bde., Gütersloh 1993, S. 28: "Duisburg hat es unternommen, die Aktivitäten der Stadt ganzheitlich im Sinne eines Konzernberichtes für das Jahr 1991 darzustellen." Die anderen Preisträger sind auf verschiedene Länder verteilt.
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(11) |
Detlef Müller-Böling, Die entfesselte Hochschule, Gütersloh 2000, 9
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(12) |
Siehe Anm. 1: Bildungskommission, 1995
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(13) |
Siehe dazu das Kapitel zum NPM auf der Seite www.bertelsmannkritik.de (ab Januar 09)
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(14) |
Reinhard Kahl bedient die bildungsbürgerliche Schicht der Alt-68er mit Mainstream-Halbwissen in der "ZEIT". Er ist Bertelsmanns engster Verbündeter in der gehobenen Journalistik.
http://www.reinhardkahl.de
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(15) |
"Zwei Wochen lang verweigerten 126 000 Lehrer in der kanadischen Provinz Ontario ihre Arbeit, und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung stand auf ihrer Seite. Als der Arbeitskampf auf eine offene Kraftprobe mit der Regierung hinauslief, brachen die Lehrergewerkschaften am 9. November den Ausstand ab und kapitulierten schmählich."
Der Streik richtete sich gegen unglaubliche Kürzungen im Bildungshaushalt.
http://www.wsws.org/de/gleichheit/9801/16kana1.shtml
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(16) |
Siehe: Jörn Grapp u.a., Ideengeschichtliche Entwicklung der Selbstorganisation -
Die Diffusion eines interdisziplinären Forschungskonzeptes.
http://www.wiwi.uni-bremen.de
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(17) |
Peter L. Berger/Thomas Luckmann. Modernität, Pluralismus und Sinnkrise. Die Orientierung des Modernen Menschen, Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 1995. Berger und Luckmann waren 1969 mit ihrem Buch: "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" bahnbrechend. Mit ihm wurde im sozialwissenschaftlichen Bereich der Positivismus als wissenschaftstheoretische Basis des keynesianischen Hochlohnsystems und des Fordismus abgelöst. Siehe auch die arbeitswissenschaftliche Diskussion zum neuen Typ der/s Arbeitskraftunternehmers/rin unter:
http://www.arbeitenundleben.de
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(18) |
Grundsätzliches dazu siehe: Detlef Hartmann, Gerald Geppert, Cluster. Die neue Etappe des Kapitalismus, Berlin/Hamburg 2008
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(19) |
z.B. Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004
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(20) |
Mike Davis. Planet der Slums. Berlin/Hamburg 2007, 78 ff.. Barbara Cruikshank. The Will to Empower. Democratic Citizens and other Subjects, Ithaca and London 1999.
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(21) |
http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/
http://www.pisa.oecd.org
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(22) |
Im Anschluss an die Denkschrift der NRW-Bildungskommission (s. Anm. 1) wurden mehrere Pilotprojekte in NRW zur Selbstständigen Schule initiiert.
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(23) |
Siehe z.B. Christoph Butterwegge u.a., Kritik des Neoliberalismus, Wiesbaden 2007. Karl Heinz Roth, Der Zustand der Welt. Gegenperspektiven, Hamburg 2005. Torsten Brandt u.a. (Hg.), Europa im Ausverkauf. Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ihre Folgen für die Tarifpolitik, Hamburg 2008.
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(24) |
Felix Rauner u.a., 2008, Steuerung der beruflichen Bildung im internationalen Vergleich. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Kurzfassung; S. 17: "Im Rahmen ihrer Selbstverwaltung sollten die beruflichen Schulen die ihnen aus öffentlichen Mitteln und eigenen Einkünften aus Bildungsangeboten auf dem Weiterbildungsmarkt zur
Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen selbst bewirtschaften."
http://www.anti-bertelsmann.de
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(25) |
Siehe http://www.bmbf.de/de/6190.php und den Bericht dort, sowie die neuere Bertelsmann-Position aus 2008:
http://www.anti-bertelsmann.de
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(26) |
Das SEIS wurde inzwischen dem Staat geschenkt. Es hat in der Pionierphase der 90er Jahre seine Aufgabe für die Stiftung erfüllt und war in der letzten Zeit als Instrument der Einflussnahme in die Kritik geraten. Inzwischen gibt es eine Anzahl unabhängiger Evaluationsinstrumente für Schulen.
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(27) |
aus: "SEIS macht Schule. Bessere Qualität in allen Schulen", ursprünglich auf http://www.seis-deutschland.de. Da die Stiftung sich im Bereich der Schulaktivitäten reorganisiert hat, ist der Text der Stiftung inzwischen auf einer scheinbar neutralen Site zu finden:
http://www.wissensschule.de
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(28) |
360°-Feedback bedeutet, dass SchülerInnen, KollegInnen und Eltern ihre Wahrnehmungen über den Unterricht mitteilen. Das wäre nett, wenn es eine demokratische und sozial richtig ausgestattete Schule gäbe. Da dies nicht der Fall ist, funktioniert der Ansatz nicht.
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(29) |
"Mehr Lehrer...würden ihren Unterricht gemeinsam vorbereiten, die Pädagogen fühlten sich stärker verantwortlich für die Schule als Ganzes. Auch Neuerungen lassen sich besser im Schulalltag verankern, wenn sich die Kollegen nicht nur in zu kurzen Pausen oder zu langen Konferenzen sehen.", schreibt Martin Spiewak in seiner Glosse: Recht auf Ruhe. Jeder Lehrer sollte einen eigenen Arbeitsplatz in der Schule haben, in: Die ZEIT, Nr. 52, 17.12.2008, 35.
http://www.zeit.de/2008/52/Glosse
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(30) |
Edwin Czerwick, Die Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes. Dienstrechtsreformen und Beschäftigungsstrukturen seit 1991, Wiesbaden 2007
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(31) |
"Kritik ist selbst zum integralen Bestandteil einer gesellschaftlichen Modernisierung geworden, welche die Abweichung von der Norm propagiert - die damit selbst zur Norm wird. Konzepte wie Empowerment, Selbstverantwortung, Partizipation und Flexibilität, deren Wurzeln auf die Kämpfe sozialer Emanzipationsbewegungen zurückweisen, haben sich in institutionelle Anforderungen und normative Erwartungen verwandelt - Subversion ist zur Produktivkraft geworden.(...).Wo jeder Einspruch als Feedback ins System eingespeist wird und dessen Leistungsfähigkeit steigert, wo Nonkonformismus sich als avancierteste Form der Anpassung erweist, muss Kritik so flexibel werden wie ihre Gegenstände. Das Glossar der Gegenwart übt daher eine Form der Kritik, die weniger bewertet, als die Systeme analysiert." (Aus: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, Thomas Lemke in Leviathan, März 2004, S.117).
http://www.single-generation.de/wissenschaft/thomas_lemke.htm
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(32) |
http://www.anti-bertelsmann.de/texte.html
http://www.anti-bertelsmann.de/2006/LohmannBertelsmann.pdf
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(33) |
Lesenswert ist der Text: Jan Masschelein,/Maarten Simons, Globale Immunität oder Eine kleine Kartographie des europäischen Bildungsraums, Zürich, Berlin 2005.
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(34) |
Z.B. http://www.arbeitsratgeber.com/employability_0071.html
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(35) |
T. Lemke, "Eine Kultur der Gefahr" - Dispositive der Unsicherheit im. Neoliberalismus.
http://www.thomaslemkeweb.de/publikationen/EineKulturderGefahr.pdf
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(36) |
In Spitzengesprächen im Jahr 2008 zwischen Stiftung und GEW-Vorstand wurde über die Kritik diskutiert und sondiert, wieweit eine Wiederaufnahme der Kooperation möglich ist.
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