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ag du bist bertelsmann

Privatisierung der Kommunalen Verwaltung

Private Dienstleister streben seit längerem die Übernahme von Verwaltungsaufgaben an. Die Bertelsmann AG und die Bertelsmann-Stiftung wirken als einflussreiche Antriebskräfte bei der Durchsetzung von Public-Private-Partnerships (PPP). PPP bezeichnet in der Regel eine Teil-Privatisierung von öffentlichen Aufgaben, die meist mit einer langfristig vertraglich geregelten Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft einhergeht. Die öffentliche Hand (public) investiert in Vorhaben und finanziert Projekte (und trägt auch die damit verbundenen Folgekosten), während die Gewinne von den Unternehmern (private) einkassiert werden.(1)

Nachdem sich die Stiftung kommunalpolitisch zunächst für die Ökonomisierung der Verwaltungen, Public-Private-Partnerships und die Privatisierung staatlicher Aufgaben engagiert hat und in den Konzernmedien äußerst zustimmend darüber berichtet wurde, gründete die Bertelsmann-Tochter Arvato einen neuen Produktbereich – die Government Services. E-Government (Elektronisches Regieren bzw. Verwalten) und E-Democracy (Elektronische Bürgerbeteiligung) wurden dabei als wesentliche Modernisierungsschritte öffentlicher Verwaltung dargestellt.(2)

Die Verbindung zwischen der Diskurspolitik der Bertelsmann-Stiftung und der Anwendung des Public Private Partnership Projektes zwecks Erzielung eines kommerziellen Gewinns bei der Bertelsmann AG wird an dieser Stelle deutlich erkennbar:

Am 16.05.2007 besiegelten die Stadt Würzburg und Arvato das erste PPP-Projekt in der öffentlichen Verwaltung in der BRD. Im Rahmen des Projekts Würzburg integriert! baut die Bertelsmann-Tochter Arvato eine zentrale E-Government-Plattform auf. Mit dem Pilotprojekt soll in der Kommunalverwaltung laut Stiftung "eine Verbesserung der Servicequalität, eine Vereinfachung der Prozesse und die Beschleunigung der Verwaltungsabläufe bei gleichzeitiger Senkung der Verwaltungskosten erreicht werden".(3) Die Abläufe in der Kommunalverwaltung sollen über eine Internet-Plattform gesteuert werden, so dass man zu jeder Zeit "über das Internet [...] die Geburt eines Kindes oder den Kauf eines neuen Autos anmelden" kann.(4) Und durch schnelle Auskünfte, sowie eine transparente und kurzfristige Antragsbearbeitung der Standort Würzburg an Attraktivität für Gewerbebetriebe und vor allem für große Unternehmen gewinnen.(5)

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Weitere Kommunen sollen bald folgen. Würzburg integriert! soll erst der Anfang sein und den Einstieg von Arvato in den deutschen Markt für öffentliche Dienstleistungen vorbereiten.

Vor wenigen Jahren, im Sommer 2005, hat Arvato bereits in Großbritannien Fuß gefasst. Im Bezirk East Riding of Yorkshire hat die Bertelsmann-Tochter den gesamten öffentlichen Dienst einschließlich 516 von 9000 VerwaltungsmitarbeiterInnen übernommen.(6) Es handelt sich dabei um die Verwaltung eines Kreises (council) von der Größe des Saarlands mit rund 325 000 Einwohnern in 145 000 Haushalten. Arvato erledigt in East Riding kommunale Verwaltungsaufgaben. Das Bertelsmann-Unternehmen zieht lokale Steuern ein, erhebt in hoheitlichem Auftrag Gebühren, zahlt Wohngeld und Beihilfen, erledigt Lohn- und Gehaltsabrechnungen und betreibt 14 BürgerInnenbüros. Es stellt sowohl das Management als auch die komplette informationstechnologische Infrastruktur.(7) Der Vertrag in East Riding hat nach Unternehmensangaben ein Volumen von mehr als 200 Millionen Euro.(8)

Im Gegensatz zu East Riding hat Arvato in Würzburg keine städtischen MitarbeiterInnen oder hoheitlichen Aufgaben übernommen. Das Projekt ist ,vorerst' auf die Dauer von zehn Jahren ausgelegt, für die Arvato sich einen Umsatz von einer Milliarde Euro erwartet.(9)

Würzburg erhofft sich durch die zentrale E-Government-Plattform Einsparungen in Höhe von 27 Millionen Euro durch Personalabbau: Von 600 Verwaltungsmitarbeitern sollen 75 MitarbeiterInnen, die in Ruhestand gehen, nicht ersetzt werden. Die Stadt erhält zehn der gesparten 27 Millionen Euro, die Projektkosten belaufen sich auf weitere zehn Millionen. Somit bleiben Arvato bis zu sieben Millionen Euro Gewinn.(10)

Nicht eingerechnet wurden allerdings die kostspieligen Baumaßnahmen, die am E-Government-Rathaus vorgenommen werden und der zusätzliche Aufwand den die Umstellung auf die E-Government-Plattform zur Folge hat.(11) Acht Monate nach Start des Projekts zog Würzburgs Oberbürgermeister Georg Rosenthal dann auch die nüchterne Bilanz: "Spürbare Einsparungen gibt es noch nicht".(12)

Zugleich ist davon auszugehen, dass bei den Beschäftigten infolge der weitreichenden Neuerungen Qualifikationsprobleme und -engpässe auftreten, die nur durch zeit- und kostenintensive Weiterbildungsmaßnahmen behoben werden können. Schwerwiegende Probleme ergeben sich in Fragen des Datenschutzes, denn es ist noch völlig ungeklärt, wer auf der Verwaltungsseite Zugang zu den Daten der E-Government-Plattform hat. Da die Einführung einer elektronischen BürgerInnenkarte als Zugangsvoraussetzung zum Netz erwogen wird, stellt sich die Frage, welche Daten darauf gespeichert werden und wie hierbei Datensicherheit nachweislich gewährleistet werden soll.(13)

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Einen besonderen Vorzug des Projekts sehen die Betreiber darin, dass "die Bürger in ein paar Jahren [bis 2011, Anm. d. Aut.] ihre Amtsgeschäfte sogar selbst in die Hand nehmen". Ins Rathaus müsse man nur noch, "wenn eine Unterschrift nötig ist".(14) Das bedeutet, dass alle Bürger einen PC mit Internetanschluss brauchen und in der Lage sein müssen, damit umzugehen. Bereits heute geben die BürgerInnen des Bürgerbüros ihre Daten eigenhändig am Besucherterminal ein. Und das bedeutet auch, dass auf die Bürger immer mehr Verwaltungsarbeit abgewälzt wird, während sie die "Gebühren [...] nach wie vor bezahlen" müssen, denn "Amtshandlungen finden ja trotzdem statt."(15) Für ,NormalbürgerInnen' zahlt sich das Projekt nicht aus. Es wird mit ihren Steuermitteln finanziert, Gebühren müssen sie wie bisher entrichten und zusätzlich sollen sie nun die Arbeit der entlassenen MitarbeiterInnen übernehmen. Billiger und unkomplizierter wird die Verwaltung dadurch noch lange nicht, auch nicht für den Betreiber.

Da die Stadt sich für die nächsten zehn Jahre auf Arvato festgelegt hat, hat sie den Handlungsspielraum des Kommunalparlaments erheblich eingeschränkt. Deswegen, aber auch wegen der Ortsgebundenheit hat Arvato sich das Monopol in der würzburger Verwaltung gesichert.(16)

Die Auswirkungen, die das E-Government auf die öffentliche demokratische Kontrolle und die politischen Einflussmöglichkeiten der BürgerInnen und Beschäftigten haben wird, sind noch nicht abzuschätzen. Bereits jetzt gibt es ein Defizit an Transparenz, da die Verträge zwischen der Stadt und Arvato der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.

Durch die Übernahme von bisher öffentlichen Vermögen und Aufgaben werden große internationale Konzerne wie Arvato immer mehr wirtschaftliche und politische Macht erhalten. Die Bertelsmann AG erhält in den von ihr gemanagten Verwaltungen sehr viele Informationen über ihre und die "KundInnen” des Staates. Werden nun auch noch private Rechtsformen eingeführt, wächst die Möglichkeit, BürgerInnen den Zugang zu den verwalteten Informationen zu verweigern.(17)

Inzwischen häufen sich Meldungen über "Pannen” und Mißbrauch im Umgang mit sensiblen Daten. Auch Zweifel gegenüber Arvato sind angebracht, denn Arvato ist unter anderem im Adressenhandel tätig. Im Jahr 2004 wurden der spanische Buchclub Círculo de Lectores (Bertelsmann Direct) und Arvato Services wegen illegaler Weitergabe von Kundendaten und deren Verwendung zu Werbezwecken zu einer Strafe von über 360.000 Euro verurteilt.(18) Einen Imageverlust muss Bertelsmann deswegen nicht beklagen, denn in der Presse findet sich dazu nahezu nichts.

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Mit Gewissheit kann man davon ausgehen, dass mit dem Projekt Würzburg integriert! erst einer von vielen Schritten auf dem Weg der Privatisierung von Verwaltung gegangen wurde. Mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie besteht nun erstmals der rechtliche Zwang bis Ende 2009 eGovernement-Anwendungen auf allen Ebenen der Verwaltung (Bund, Länder, Kommunen, Kammern, Berufsverbände und andere mittelbare Verwaltungsinstitutionen) sowie in in- und ausländischen Dienstleistungsunternehmen (mit Ausnahme bestimmter Branchen) umzusetzen.(19) Bereits 30 weitere Kommunen haben ihr Interesse an dem Projekt und einer Zusammenarbeit mit Arvato kundgetan.(20) Auch die Stadt Gütersoh ist interessiert.

Seit Oktober 2008 übernimmt Arvato Services nun auch für das britische Sefton Metropolitan Borough Council umfangreiche Dienstleistungen. Dazu gehören unter anderem der Betrieb der Bürgerbüros und Finanzdienstleistungen wie der Einzug lokaler Steuern und die Auszahlung von Löhnen, Gehältern und Pensionen. Wiederum übernahm Arvato 450 MitarbeiterInnen des Council.(21)

Bertelsmann plant auch weiterhin, im Rahmen von PPP-Projekten europaweit in die derzeit noch unter nationalstaatlicher Kontrolle stehenden Bereiche vorzudringen und Tätigkeiten des öffentlichen Gemeinwesens zu übernehmen.(22) Nach Großbritannien und Deutschland will Bertelsmann den spanischen Markt in Angriff nehmen.(23)


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Literatur

Arvato 2007: "arvato startet Dienstleistungen für die öffentliche Verwaltung in Deutschland”, Pressemitteilung vom 27. April 2007, in: http://www.arvato-services.de/de/news-20070427.html (Zugriff am 17.01.2009).

Arvato 2009: in: "arvato services gewinnt weiteres PPP-Projekt in UK”, News vom 01.10.2008, in: http://www.arvatogov.de/?action=news#g (Zugriff am 17.01.2009).

Baron, Christoph 2008: "arvato government services - Dienstleisterpartnerschaften für eGovernment”, Vortrag vom 24.Juni 2008 auf dem E-Governement-Kongress "IKommune Würzburg” in Würzburg (siehe: http://www.wuerzburg.de), in: http://www.wuerzburg.de/m_20099 (Zugriff am 17.01.2009).

Bauer, Rudolph, 2007a: "Global Player Bertelsmann", in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2007, S. 1003-1009, http://www.anti-bertelsmann.de/2007/baue0708.pdf (Zugriff am 17.01.2009).

Bertelsmann Stiftung 2007: "E-Government mit Bertelsmann”, Presseerklärung 30.04.2007, Würzburg, in: http://www.kommune21.de/web/de/meldung,285_1_0_82.5,6453 (Zugriff am 17.01.2009).

Bruder, Paul H., 2007: "Bertelsmann-Arvato: Gute Geschäfte - was sonst? "Würzburg integriert!": Ein Pilotprojekt für E-Government in der Kommunalverwaltung der unter-fränkischen Main-Metropole", in: unsere zeit - Zeitung der DKP am 27.07.2007, in: http://www.dkp-online.de/uz/3930/s0901.htm (Zugriff am 17.01.2009).

Consumer Eroski 2004: "Multa de más de 360.000 euros a Círculo de Lectores por ceder datos de sus clientes", 30.06.2004, in: http://www.consumer.es (Zugriff am 17.01.09).

Handelsblatt 2006: "Arvato will Umsatz kräftig steigern”, vom 29.03.2006, in: http://www.handelsblatt.com (Zugriff am 17.01.2009).

Kommune21 2008: "Kaum Fortschritte kann das Projekt "Würzburg integriert!" acht Monate nach dem Start vorweisen. Der Stadtrat will nun in einer Sondersitzung über die künftige Richtung des Projekts entscheiden.", 10.12.2008, in: http://www.kommune21.de/web/de/verwaltung,285_0_0_82.5,8306

Ruehl, Wilhelm/Klönne, Arno, 2007: "Bertelsmann und Public-Private-Partnership", in: Wernicke, Jens/Bultmann, Thorsten (Hrsg.): Netzwerk der Macht - Bertelsmann, Marburg, S. 371-392.

Schuler, Thomas, 2008: "So denken Dienstleister. Wie der Medienkonzern Bertelsmann mit der Modernisierung von Verwaltungen einen neuen Wachstumsmarkt erobern will”, in: Berliner Zeitung 11.04.2008, in: http://www.berlinonline.de (Zugriff am 17.01.2009).

Siebenhaar, Hans-Peter 2008: "Milliardenmarkt - Bertelsmann rollt Kommunen auf”, in: Handelsblatt 03.04.2008, in: http://www.handelsblatt.com (Zugriff am 17.01.2009).

Siegfried, Christine 2008: "Würzburg integriert. Eu-Dienstleistungsrichtlinie – Ziele, Regelungsbereiche, Umsetzungsstand”, Vortrag vom 24.Juni 2008 auf dem E-Governement-Kongress "IKommune Würzburg” in Würzburg (siehe: http://www.wuerzburg.de), in: http://www.wuerzburg.de/m_20098 (Zugriff am 17.01.2009).

Spiegel Online 2007: "Bertelsmann macht, was Würzburg nicht schafft”, in: Spiegel Online vom 27.04.2007, in: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,479847,00.html ( Zugriff am 17.01.2009).

Waldermann, Anselm, 2007: "Wie Würzburgs Bürger König werden soll", in: Spiegel Online vom 12.05.2007, http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,482033,00.html (Zugriff am 17.01.2009).

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(1) Vgl. Ruehl/Klönne 2007: S. 372.
(2) Vgl. ebd.: S. 374.
(3) Bertelsmann Stiftung 2007: o. S..
(4) Waldermann 2007: o. S..
(5) Vgl. Würzburg 2007: o. S..
(6) Vgl. Schuler 2008, o.S..
(7) Vgl. Arvato 2007: o. S..
(8) Vgl. Siebenhaar 2008, o.S..
(9) Vgl. ebd.
(10) Vgl. Spiegel Online 2007: o. S. und Vgl. Schuler 2008, o.S..
(11) Vgl. Bruder 2007.
(12) Vgl. Kommune21 2008: o.S..
(13) Vgl. ebd..
(14) Waldermann 2007: o. S..
(15) Ebd..
(16) Vgl. Bruder 2007.
(17) Vgl. Ruehl/Klönne 2007: S. 383.
(18) Consumer Eroski 2004, o.S..
(19) Vgl. Siegfried 2008: S. 5-7.
(20) Vgl. Siebenhaar 2008, o.S..
(21) Arvato 2009: o.S..
(22) Vgl. Handelsblatt 2006: o. S..
(23) Siebenhaar 2008, o.S..
(24) Baron 2008: S. 4.

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(Stand: Januar 2009)


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